Kennst du das auch? Du liest ein e-book und willst etwas, das du vor einigen Kapiteln gelesen hast, nochmal nachlesen. Du blätterst und blätterst, aber findest die gewünschte Seite nicht wieder. Und bei einem gedruckten Buch? Ich bin mir sicher, du kannst dich bei einem gedruckten Buch genau daran erinnern, dass der Absatz, den du suchst z.B. auf einer rechten Seite ganz oben stand.

Unterschiede zwischen e-book und Printbuch

Woran liegt es, dass man bei einem gedruckten Buch eher weiß, wo man suchen soll und bei einem digitalen Buch wiederum keinen Anhaltspunkt hat? Wo liegt da der Unterschied zwischen E-Book und Printbuch?

Der auffälligste Unterschied zwischen den beiden Medien ist natürlich ihr Aussehen. Gedruckte Bücher haben eine sofort erkennbare Größe, ein bestimmtes Format und Gewicht. Im Gegensatz dazu hat ein digitaler Text zwar eine bestimmte Länge, aber keine erkennbare Form oder Dicke.
Die meisten Menschen erwarten, dass Bücher ein bestimmtes Aussehen haben, sich auf eine bestimmte Art und Weise anfühlen und sogar einen bestimmten Geruch haben; wenn das nicht der Fall ist, macht das Lesen manchmal weniger Spaß oder wird sogar unangenehm.
Für andere bieten die dünnen, leichten E-Reader einen größeren Komfort, da man so eine große Auswahl an Büchern überall mit hinnehmen kann.

Tatsächlich gibt es viele Studien, die herausgefunden haben, dass man auf einem Bildschirm langsamer und weniger genau liest, und dass dabei weniger hängen bleibt als beim Lesen auf Papier.

Wie das Gehirn die geschriebene Sprache interpretiert

Um zu verstehen, wie die Leseerfahrung sich beim Nutzen unterschiedlicher Medien unterscheidet, müssen wir wissen, wie das Gehirn die geschriebene Sprache interpretiert.

Laut der Entwicklungspsychologin und Kognitionswissenschaftlerin Maryanne Wolf (in Jabr, 2013) sieht das Gehirn Buchstaben als physische Objekte an. Einige der Regionen, mit denen unser Gehirn die Buchstaben aufnimmt, sind auf die Objekterkennung spezialisiert. Sie helfen uns z.B. dabei, einen Apfel von einer Orange zu unterscheiden und klassifizieren gleichzeitig beide als eine Frucht. Durch bestimmte Merkmale, wie zum Beispiel einer Rundung und einem dürren Stengel bei einem Apfel, lernen wir, jeden Buchstaben anhand seiner speziellen Anordnung von Linien, Kurven und hohlem Raum zu erkennen.

Beim Lesen geht das Gehirn buchstäblich durch die Bewegung des Schreibens, auch wenn die Hände leer sind. Interessanterweise nimmt unser Gehirn einen Text in seiner Gesamtheit wahr, als eine Art physische Landschaft.

Wir konstruieren also beim Lesen eine mentale Repräsentation des Textes, wobei die Bedeutung mit der Struktur verankert wird. Solche Repräsentationen sind wahrscheinlich den mentalen Landkarten, die wir von einem Gebiet wie z.B. Bergen und Pfaden oder auch Orten wie Büros und Wohnungen kreieren, sehr ähnlich.

Was die mentale Landkarte für unser Leseverhalten bedeutet

Das bedeutet, dass wir uns oft daran erinnern, wo sich ein bestimmter Teil der geschriebenen Information im Buch befindet. Zum Beispiel können wir uns daran erinnern, dass Mr. Darcy Elizabeth Bennet ganz unten auf einer linken Seite in einem der ersten Kapitel hat abblitzen lassen, genauso wie wir uns daran erinnern, dass wir am Anfang einer Reise in eine fremde Stadt an einem roten Haus vorbeigekommen sind.
Das ist ebenfalls der Grund dafür, warum das Verständnis und die Erinnerung bei einen gedruckten Text so viel stärker sind als bei einem digitalen Gerät.

In Bezug auf die unterschiedlichen Leseerlebnisse von Analog und Digital, erklärt Jabr (2013), dass gedruckte Bücher dem Leser linke und rechte Seiten sowie insgesamt acht Ecken zur Verfügung stellen, anhand derer er sich orientieren kann. So kann man sich auf eine einzelne Seite konzentrieren ohne den Überblick über den gesamten Text zu verlieren.
Im Gegensatz dazu beeinträchtigen digitale Geräte wie E-Reader, Smartphones und Tablets die intuitive Navigation eines Textes und halten den Leser davon ab, die Landkarte des Textes im Geiste aufzuzeichnen. Der Bildschirm zeigt nur eine einzige virtuelle Seite: sie ist da und dann ist sie wieder verschwunden.

Interaktive Lern-Apps für Kinder – Gut oder schlecht?

Was soll man dann von interaktiven Apps halten, die Kinder beim Lernen unterstützen sollen?

Interaktive Apps und E-Books sind wegen ihrer Besonderheiten oftmals viel beliebter bei Kindern als gedruckte Bücher. Doch laut einer Studie von Schugar und Smith (2013, in Paul, 2014), ist das Leseverständnis größer, wenn Kinder gedruckte Bücher lesen. Auch wenn junge Leser diese digitalen Produkte sehr ansprechend finden, kann die Vielzahl der interaktiven Elemente die Aufmerksamkeit der Kinder zerstreuen. Mehr noch, Kinder tendieren sogar oft dazu, ganze Seiten zu überspringen, um nach Geräuschen, interaktiven Passagen oder anderen Ablenkungen zu suchen.

Eine japanische Studie dagegen sieht auch Vorteile durch die Mediennutzung von Kindern. Die Studie der Kyoto Universität (Pamintuan-Lamorena, 2014) unterstützt die These, dass E-Books beim Lesenlernen effektiver sein können als gedruckte Bücher.
Dabei wurden je 15 Vierjährige in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine Gruppe bekam ein E-Book mit der Funktion, die Buchstaben beim Vorlesen in roter Farbe hervorzuheben, während die andere Gruppe das gleiche Buch als gedruckte Version bekam. Das Buch hatte 12 Seiten und insgesamt 576 Buchstaben.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Kinder in der E-Book Gruppe nach sechs Tagen des zweimal täglichen Lesens eine deutlich erhöhte Zahl der Buchstaben lesen konnten, durchschnittlich etwa 16,4 neue Buchstaben. Die andere Gruppe mit den gedruckten Büchern, die ihnen von ihren Müttern vorgelesen wurden, zeigten dagegen nur minimale Fortschritte von durchschnittlich 0,3 Buchstaben. Auf andere Faktoren, wie z.B. das Leseverständnis wurde hierbei aber nicht geachtet.

Es kommt auf die Balance an

Generell sollten auch neue Medien ihren Platz im Leben von Kindern haben, wenn auch einen eingeschränkten: Eine gesunde Balance ist hier das A und O. Wir können wohl erst in einigen Jahren mit Sicherheit sagen, welche Auswirkungen die Digitalisierung wirklich auf uns Menschen hat.
Aber auch wir Erwachsenen sollten uns vielleicht einmal selbst hinterfragen, wie groß unser eigener Medienkonsum eigentlich ist, was dahinter steckt und ob wir genau das der nachfolgenden Generation vorleben wollen.

Schlussgedanken

Interessant in Bezug auf die mentale Landkarte, die das menschliche Gehirn beim Lesen auf dem Bildschirm nicht erstellen kann, ist die Frage, ob das bei späteren Generationen wohl auch noch der Fall sein wird?
Wenn die nachfolgenden Generationen nur noch mit digitalen Geräten aufwachsen, lernen und vielleicht gar keine gedruckten Bücher mehr kennen, wird sich der Mensch dann womöglich schon so weit an die neuen Medien angepasst haben, dass er z.B. mit einem gedruckten Buch nicht mehr klarkommt und das Leseverständnis bei digitalen Geräten dagegen viel höher ist? Wir dürfen gespannt sein.

Referenzen: